Geänderte/Ergänzte Fassung vom 04.05.2015
Hier: Ablehnungsentscheidung wegen Übernachfrage eines Schulplatzes
(Unwirksamkeit § 33 Abs. 3 Sonderpädagogik-Verordnung (SopädVO))
Für alle Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf bzw. einer Behinderung oder Einschränkung, gilt bei Einschulung oder Schulwechsel zum kommenden Schuljahr 2015/2016 die aktuelle Rechtsprechung zu berücksichtigen.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit Urteil VG 14 K 85.14 vom 15.07.2014 entschieden (siehe https://www.berlin.de/imperia/md/content/senatsverwaltungen/justiz/gerichte/vg2/entscheidungen2/14_k_0085_14___140715___urteil___anonymisiert.pdf), dass § 33 Abs. 3 der aktuellen Fassung der Sonderpädagogik-Verordnung (siehe http://gesetze.berlin.de/jportal/?quelle=jlink&query=SondP%C3%A4dV+BE&psml=bsbeprod.psml&max=true&aiz=true)nichtig ist, weil dieser keine Rechtsgrundlage im Berliner Schulgesetz (konkret nicht in SchulG § 37 Abs. 3) (siehe http://gesetze.berlin.de/jportal/?quelle=jlink&query=SchulG+BE&psml=bsbeprod.psml&max=true&aiz=true) findet. Dies betrifft die Ablehnung eines Schulplatzes bei Überschreitung der festgelegten Höchstgrenzen an SchülerInnen mit Förderbedarf je Klasse.
Ausgangssituation dieses Urteils war die Klage von Eltern einer Tochter mit sonderpädagogischem Förderbedarf „Sprache“, welche zum Schuljahr 2014/2015 von der Grundschule an eine Integrierte Sekundarschule (ISS) mit gymnasialer Oberstufe im Bezirk Mitte wechseln wollte. Die Tochter wurde dort ebenso wie an der angegebenen Zweitwunschschule mit Verweis auf Übernachfrage der dortigen Schulplätze abgelehnt und ein Schulplatz an einer ISS ohne gymnasiale Oberstufe in Charlottenburg-Wilmersdorf zugewiesen. Sie reichten Klage sowie parallel einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Berlin ein.
Das Verwaltungsgericht entschied für die Familie und gegen die Argumentation der Senatsverwaltung für Bildung (SenBJW) unter Verweis auf das Berliner Schulgesetz im § 37 Abs. 3: Dass im Falle einer Übernachfrage einer Schule ein Ausschuss seitens der bezirklichen Schulaufsichtsbehörde einzurichten ist, welcher die Erziehungsberechtigten und die aufnehmende Schule anhören, sowie den sonderpädagogischen Förderbogen und Unterlagen der Schulanmeldung zu Rate ziehen muss. Außerdem muss ein Einvernehmen mit der zuständigen (bezirklichen) Schulbehörde hergestellt werden. Dies ist im genannten Fall nicht geschehen. Die SenBJW argumentierte u.a. entgegen, die Wunschschule wäre nicht in besonderem Maße spezialisiert (gem. SopädVO §33 Abs. 3).
Der Ansicht der Senatsverwaltung für Bildung, dass die Auswahl- und Ablehnungskriterien im § 33 Abs. 3 der Sonderpädagogik-Verordnung geregelt wären, ist das Gericht nicht gefolgt und hat diesen Absatz für nichtig erklärt, da die SopädVO lediglich einen Verordnungscharakter hat (und damit kein Gesetz ist) und die Bestimmungen des Schulgesetzes nicht außer Kraft setzen kann.
Das Gericht urteilte: Das Schulgesetz ist entscheidend, die Wahlfreiheit der Eltern zwischen den Schulformen (gem. SchulG § 36 Abs. 4). Eine Ablehnung darf nur durch den §37 Abs. 3 im Berliner Schulgesetz erfolgen, ein Ausschuss muss eingerichtet werden, die Motive der Erziehungsberechtigten für die Wahl der Schule sind anzuhören, die nachrangige Sonderpädagogik-Verordnung - insbesondere der für nichtig erklärte §33 Abs. 3 - ist keine Entscheidungsgrundlage. Die Senatsverwaltung für Bildung ist per Gerichtsurteil aufgefordert, eine rechtliche Grundlage durch Änderung des Berliner Schulgesetzes zu schaffen. Dabei geht das Gericht auch auf den Kontext des menschenrechtlichen Anspruches auf diskriminierungsfreien Zugang zum Gemeinsamen Unterricht in Verbindung mit den individuellen Gegebenheiten des einzelnen Kindes, welchem Rechnung getragen werden muss (UN Behindertenrechtskonvention Art. 24, Art. 5), ein.
Die Senatsverwaltung ging in die Berufung und wurde vom Oberverwaltungsgericht (OVG) am 25.11.2014 (Urteil OVG 3 B 8.14) (siehe http://openjur.de/u/753572.html)zurückgewiesen. Hierbei korrigierte das OVG allerdings die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes wie folgt: Die Vorgabe für die Einrichtung eines Aufnahmeausschuss erfasst nicht den Fall, dass die Zahl der angemeldeten Schülerinnen oder Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an einer allgemeinen Schule die Höchstgrenze für die Aufnahme übersteigt – hierfür fehle es vielmehr an einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage im Berliner Schulgesetz. Das OVG stellt gleichzeitig aber einen eindeutigen Bezug zu den Grundrechten über die Verfassung von Berlin und das Grundgesetz her (Recht und Zugang auf Bildung sowie das Benachteiligungsverbot). Die positive Entscheidung des VG für den Schulplatz an der Wunschschule blieb trotz Korrektur des OVG bestehen.
Mit Schreiben vom 20.01.2015 (siehe Anhang) informiert die Senatsverwaltung für Bildung alle Schulaufsichten, Schulen und Schulämter des Landes Berlin über die Verfahrensweise für den Schuljahresbeginn 2015/2016, da bis zu diesem Zeitpunkt eine entsprechende Anpassung des Schulgesetzes und der Sonderpädagogikverordnung voraussichtlich nicht in Kraft treten wird. Bis dahin sind für alle anstehenden Auswahlentscheidungen Einzelfallentscheidungen vorzunehmen und anhand von sachgerechten Kriterien schriftlich zu begründen und zu dokumentieren. Einen Hinweis auf die Möglichkeit eines Aufnahmeausschusses gibt die Senatsverwaltung nicht. Diese Möglichkeit dürfte in strittigen Fällen jedoch hilfreich für Eltern und u.U. auch in Abhängigkeit vom Einzelfall vor Gericht sehr wichtig sein.
Für Eltern, die eine Ablehnungsentscheidung wegen Übernachfrage eines Schulplatzes oder anderer Gründe betrifft, ist folgendes zu beachten:
- der sonderpädagogische Förderbogen des Kindes muss aussagekräftig zur Entscheidung vorliegen; im Falle eines Schulwechsels (z.B. an eine Oberschule) ist eine enge Abstimmung mit der abgebenden (Grund-)Schule sicherlich sehr hilfreich,
- naheliegende Auswahlkriterien wie Wohnortnähe der aufnehmenden Schule und die Aufrechterhaltung sozialer Bindungen („Härtefall-/Geschwisterregelung“) sind nach wie vor, auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes, maßgeblich zu berücksichtigen,
- die Fördermöglichkeiten der aufnehmenden Schule in personeller, sächlicher und organisatorischer Hinsicht,
- das Angebot der aufnehmenden Schule hinsichtlich des empfohlenen Bildungszieles des Kindes (beispielsweise wie im erwähnten Fall, eine Schule mit bzw. ohne gymnasiale Oberstufe) und des Schulprofils,
- ein Losverfahren um die zur Verfügung stehenden Schulplätze ist lediglich vorgesehen, soweit keines der anderen – in SoPädVO §33 Abs. 3 beispielsweise - genannten Kriterien mehr herangezogen werden kann (Wohnortnähe, Aufrechterhaltung sozialer Bindungen, …),
- die Rechte eines Kindes nach § 37 Abs. 3 Schulgesetz stehen grundsätzlich im Vordergrund gegenüber dem Aufwand, welcher einer Schulaufsicht ggf. durch notwendige Anhörungen entstehen kann; bestehen Sie ggf. auf einen Ausschuss gem. § 34 Abs. 1 der Sonderpädagogik-Verordnung und Ihre Anhörung um weitere zu berücksichtigende Kriterien um Ihr Kind und Lebenslagen, dort steht Ihnen auch die Begleitung durch eine Vertrauensperson zu.
In Fällen, in welchen berechtigte Zweifel an einem Ablehnungsbescheid um einen Schulplatz für SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an einer Wunschschule bestehen, empfehlen wir Ihnen sich juristisch - auch hinsichtlich der individuellen Erfolgschancen - beraten zu lassen.
Wichtig: Sofern Sie eine Ablehnung/Rückweisung erhalten - muss diese zwingend schriftlich beschieden werden. Legen Sie fristgerecht Widerspruch ein, ggf. mit anwaltlicher Hilfe!
Haben Sie Fragen? Benötigen Sie Unterstützung? Dann wenden Sie sich gern an die Arbeitsgruppe Inklusion des Landeselternausschusses Schule Berlin (LEA) unter
Berlin, den 04.05.2015
Frank Heldt Ralf Engelmann
Sprecher der Arbeitsgruppe Inklusion Arbeitsgruppe Inklusion
beim Landeselternausschuss Berlin beim Landeselternausschuss Berlin