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Hier: Ablehnungsentscheidung wegen Übernachfrage eines Schulplatzes (Unwirksamkeit § 33 Abs. 3 Sonderpädagogik‐Verordnung (SopädVO)) Für alle Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf bzw. einer Behinderung oder Einschränkung, gilt bei Einschulung oder Schulwechsel zum kommenden Schuljahr 2015/2016 eine aktuelle Rechtsprechung zu berücksichtigen.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit Urteil VG 14 K 85.14 vom 15.07.2014 entschieden (https://www.berlin.de/imperia/md/content/senatsverwaltungen/justiz/gerichte/vg2/entscheidungen2/14_k_0085_14___140715___urteil___anonymisiert.pdf), dass § 33 Abs. 3 der aktuellen Fassung der Sonderpädagogik‐Verordnung (http://gesetze.berlin.de/jportal/?quelle=jlink&query=SondP%C3%A4dV+BE&psml=bsbeprod.psml&max=true&aiz=true) nichtig ist, weil dieser keine Rechtsgrundlage im Berliner Schulgesetz (http://gesetze.berlin.de/jportal/?quelle=jlink&query=SchulG+BE&psml=bsbeprod.psml&max=true&aiz=true) (konkret nicht in SchulG § 37 Abs. 3) findet.
Ausgangssituation dieses Urteils war die Klage von Eltern einer Tochter mit sonderpädagogischem Förderbedarf „Sprache“, welche zum Schuljahr 2014/2015 von der Grundschule an eine Integrierte Sekundarschule (ISS) mit gymnasialer Oberstufe im Bezirk Mitte wechseln wollte. Die Tochter wurde dort ebenso wie an der angegebenen Zweitwunschschule mit Verweis auf Übernachfrage der dortigen Schulplätze abgelehnt und ein Schulplatz an einer ISS ohne gymnasiale Oberstufe in Charlottenburg‐Wilmersdorf zugewiesen. Sie reichten Klage sowie parallel einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Berlin ein.
Das Verwaltungsgericht entschied für die Familie und gegen die Argumentation der Senatsverwaltung für Bildung (SenBJW) unter Verweis auf das Berliner Schulgesetz im § 37 Abs. 3: Dass im Falle einer Übernachfrage einer Schule ein Ausschuss seitens der bezirklichen Schulaufsichtsbehörde einzurichten ist, welcher die Erziehungsberechtigten und die aufnehmende Schule anhören, sowie den sonderpädagogischen Förderbogen und Unterlagen der Schulanmeldung zu Rate ziehen muss. Außerdem muss ein Einvernehmen mit der zuständigen (bezirklichen) Schulbehörde hergestellt werden. Dies ist im genannten Fall nicht geschehen. Die SenBJW argumentierte u.a. entgegen, die Wunschschule wäre nicht in besonderem Maße spezialisiert (gem. SopädVO §33 Abs. 3).
Der Ansicht der Senatsverwaltung für Bildung, dass die Auswahl‐ und Ablehnungskriterien im § 33 Abs. 3 der Sonderpädagogik‐Verordnung geregelt wären, ist das Gericht nicht gefolgt und hat diesen Absatz für nichtig erklärt, da die SopädVO lediglich einen Verordnungscharakter hat (und damit kein Gesetz ist) und die Bestimmungen des Schulgesetzes nicht außer Kraft setzen kann.
Das Gericht urteilte: Das Schulgesetz ist entscheidend, die Wahlfreiheit der Eltern zwischen den Schulformen (gem. SchulG § 36 Abs. 4). Eine Ablehnung darf nur durch den §37 Abs. 3 im Berliner Schulgesetz erfolgen, ein Ausschuss muss eingerichtet werden, die Motive der Erziehungsberechtigten für die Wahl der Schule sind anzuhören, die nachrangige Sonderpädagogik‐Verordnung ‐ insbesondere der für nichtig erklärte §33 Abs. 3 ‐ ist keine Entscheidungsgrundlage. Die Senatsverwaltung für Bildung ist per Gerichtsurteil aufgefordert, eine rechtliche Grundlage durch Änderung des Berliner Schulgesetzes zu schaffen. Dabei geht das Gericht auch auf den Kontext des menschenrechtlichen Anspruches auf diskriminierungsfreien Zugang zum Gemeinsamen Unterricht in Verbindung mit den individuellen Gegebenheiten des einzelnen Kindes, welchem Rechnung getragen werden muss (UN Behindertenrechtskonvention Art. 24, Art. 5), ein.
Mit Schreiben vom 20.01.2015 (siehe Anhang) informiert die Senatsverwaltung für Bildung alle Schulaufsichten, Schulen und Schulämter des Landes Berlin über die Verfahrensweise für den Schuljahresbeginn 2015/2016, da bis zu diesem Zeitpunkt eine entsprechende Anpassung des Schulgesetzes und der Sonderpädagogikverordnung voraussichtlich nicht in Kraft treten wird. Bis dahin sind für alle anstehenden Auswahlentscheidungen Einzelfallentscheidungen vorzunehmen und anhand von sachgerechten Kriterien schriftlich zu begründen und zu dokumentieren. Einen Hinweis auf den in Fällen konkreter Übernachfrage gemäß § 37 Abs. 3 Schulgesetz einzurichtenden Ausschuss in den Schulen gibt die Senatsverwaltung nicht. Diese gesetzliche Bestimmung dürfte in strittigen Fällen jedoch hilfreich für Eltern und u.U. auch in Abhängigkeit vom Einzelfall vor Gericht sehr wichtig sein.
Für Eltern, die eine Ablehnungsentscheidung wegen Übernachfrage eines Schulplatzes oder anderer Gründe betrifft, ist folgendes zu beachten:
- der sonderpädagogische Förderbogen des Kindes muss aussagekräftig zur Entscheidung vorliegen; im Falle eines Schulwechsels (z.B. an eine Oberschule) ist eine enge Abstimmung mit der abgebenden (Grund‐)Schule sicherlich sehr hilfreich,
- naheliegende Auswahlkriterien wie Wohnortnähe der aufnehmenden Schule und die Aufrechterhaltung sozialer Bindungen („Härtefall‐/Geschwisterregelung“) sind nach wie vor, auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes, maßgeblich zu berücksichtigen,
- die Fördermöglichkeiten der aufnehmenden Schule in personeller, sächlicher und organisatorischer Hinsicht,
- das Angebot der aufnehmenden Schule hinsichtlich des empfohlenen Bildungszieles des Kindes (beispielsweise wie im erwähnten Fall, eine Schule mit bzw. ohne gymnasiale Oberstufe) und des Schulprofils,
- pauschale Losverfahren zur Verfügung stehender Schulplätze (lediglich nach Berücksichtigung von grundlegenden Kriterien wie Wohnortnähe und Bestehen sozialer Bindungen) sind rechtswidrig,
- die Rechte eines Kindes nach § 37 Abs. 3 Schulgesetz stehen grundsätzlich im Vordergrund gegenüber dem Aufwand, welcher einer Schulaufsicht ggf. durch notwendige Anhörungen entstehen kann; bestehen Sie ggf. auf einen Ausschuss gem. § 34 Abs. 1 der Sonderpädagogik‐Verordnung und Ihre Anhörung, dort steht Ihnen auch die Begleitung durch eine Vertrauensperson zu,
- in strittigen Situationen, die auf bezirklicher Ebene nicht zu klären sind, ist der Weg vor Gericht zu empfehlen, holen Sie sich dazu eine rechtliche Beratung ein.
Wichtig: Sofern Sie eine Ablehnung/Rückweisung erhalten ‐ muss diese zwingend schriftlich beschieden werden. Legen Sie fristgerecht Widerspruch ein, ggf. mit anwaltlicher Hilfe!
Haben Sie Fragen? Benötigen Sie Unterstützung? Dann wenden Sie sich gern an die Arbeitsgruppe
Inklusion des Landeselternausschusses Schule Berlin (LEA) unter kontakt@ag‐inklusion.de
Berlin, den 13.03.2015
Frank Heldt
Sprecher der Arbeitsgruppe Inklusion
beim Landeselternausschuss Berlin
Ralf Engelmann
Arbeitsgruppe Inklusion
beim Landeselternausschuss Berlin